Brief an die Deutsche Bischofskonferenz vom 25. März 1980

Mit geringer Faszination betrachtet ein Großteil der Kirche gegenwärtig den Versuch, die Gefolgsleute von M. Lefebvre in der klerikalistischen „Priesterbrudersaft Pius X.“ aus dem unseligen Antimodernismus des 19. Jahrhunderts in die Gegenwart zu holen. Dass sich die Kirchenoberen selbst schwer tun darzulegen, was tatsächlich „kirchliche Wahrheit sei“ und was nicht, veranschaulicht der folgende Brief der AGP an die Deutsche Bischofskonferenz und deren Berater vom 25. März 1980. Im April antwortete der damalige Sekretär Homeyer im Auftrag von Kardinal Höffner: „Die Deutsche Bischofskonferenz beabsichtigt nicht, sich mit dem Inhalt Ihres Schreibens zu befassen.“

Sehr geehrte Herren!

Am 22. September 1967 richteten die deutschen Bischöfe ein Schreiben „an alle, die von der Kirche mit der Glaubensverkündigung beauftragt sind“. Darin wird als Tatsache bezeichnet, „dass der kirchlichen Lehrautorität bei der Ausübung ihres Amtes Irrtümer unterlaufen können und unterlaufen sind“. Weiterhin wird die „gedankenlose Weitergabe nicht mehr vertretbarer Auffassungen“ gerügt, welche „die wahre Botschaft verkürzen“ (Nr. 16f).

Diese Erklärungen waren von solchem Gewicht, dass man in der Folge weitere Auskünfte hätte erwarten können. Die Zuverlässigkeit des Lehramtes wird nämlich durch die genannten Feststellungen generell in Frage gestellt, solange nicht konkret gesagt wird, welche Irrtümer des Lehramtes gemeint sind.

In der Erklärung der deutschen Bischöfe „Zum Entzug der kirchlichen Lehrbefugnis Professor Dr. Hans Küngs“ vom 7. Januar 1980 wird wiederum von Irrtümern der Kirche gesprochen. Lediglich unwiderrufliche Glaubensentscheidungen des Lehramtes werden von der Möglichkeit des Irrtums freigesprochen. Nähere Angaben fehlen jedoch abermals.

Ein längeres Schweigen der Bischöfe in dieser schwerwiegenden Sache scheint uns nicht vertretbar. Deshalb ersuchen wir die deutsche Bischofskonferenz in aller Form, ein Lehrschreiben herauszugeben, das eine vollständige Zusammenstellung der bis zum heutigen Tag erkannten Irrtümer des Lehramtes und der nicht mehr vertretbaren Auffassungen enthält.

Denkbar scheint uns, dass Sie das erbetene Urteil der freien theologischen Argumentation und Auseinandersetzung überlassen wollen. In diesem Fall müssten wir Sie aber ebenso ernst bitten, eine erschöpfende Aufzählung der kirchlichen Lehrsätze herauszugeben, die a priori vomVerdacht möglichen Irrtums ausgenommen bleiben müssen. Unseres Wissens ist bisher nirgends verbindlich festgestellt worden, wie viel unwiderrufliche Dogmen es gibt und welche amtlichen Lehräußerungen im Einzelnen als solche zu betrachten sind. Spätestens seit den erwähnten Erklärungen des deutschen Episkopates von 1967 und 1980 bleibt somit einer verhängnisvollenVerwechslung Tür und Tor geöffnet. Es droht die Gefahr, dass auch die eine oder andere definitive Lehraussage dem Verdacht des Irrtums ausgesetzt wird. Nicht geringer ist die Gefahr, dass eine zu Unrecht als unwiderruflich angesehene Lehraussage sich später als falsch erweisen könnte. Ein einziger Fall, wo eine als definitiv anerkannte Lehre sich als Irrtum erwiese, würde genügen, um den Glauben an die Unfehlbarkeit der Kirche völlig zu untergraben.Wenn außerdem Zweifel daran bestehen oder denkbar sind, welcher Sachverhalt präzise durch ein Dogma definiert worden ist, muss bei gleicher Gelegenheit dessen verbindliche Umschreibung erfolgen (vgl. DS 3866). Schließlich muss unzweideutig der Gewissheitsgrad aller in diesem Zusammenhang erfolgenden Klarstellungen angegeben werden,

In Ihrem Kanzelwort vom 7. Januar 1980 versichern Sie, Papst und Bischöfe hätten sich genötigt gesehen zu handeln, nachdem Prof. Küng öffentlich die Vermutung geäußert hatte, „dass sich das kirchliche Lehramt seiner Sache in Fragen der Unfehlbarkeit selber nicht sicher sei“. Der Gegenstand unserer Anfrage schafft, so glauben wir für Sie als Lehrer der Kirche erst recht den Status confessionis. Sie dürfen nicht schweigen, wenn Sie nicht der genannten Vermutung neue Nahrung geben wollen.

Nennen Sie die (pauschal eingestandenen) Irrtümer des Lehramtes beim Namen! Leiten Sie die nötigen Maßnahmen ein, dass die Wahrheit des Glaubens ohne Missdeutung verkündet werden kann! Der Schaden bei den Gläubigen muss wieder gutgemacht werden, ebenso das Unrecht, das geschehen ist! Unrecht ist nämlich immer dann geschehen, wenn jemand der Abweichung vom Lehramt bezichtigt wurde, während der Irrtum beim kirchlichen Amt selber lag.

Die Maßnahmen gegen Prof. Küng haben bereits die Befürchtung aufkommen lassen, die Oberen der Kirche huldigten dem Prinzip der doppelten Wahrheit: eine Wahrheit für den theologischen Hörsaal, deren Integrität mit den Mitteln der Kirchenzucht verteidigt werden müsse; eine andere Wahrheit für das einfache Volk und die Verkündigung im Gottesdienst, mit der man es weniger genau nehmen könne. Denn warum sonst darf Küng weiterhin predigen, aber nicht als katholischer Theologe dozieren?

Unbestreitbar jedoch verhält sich der Episkopat zwiespältig zur Wahrheit, solange er von Irrtümern des Lehramtes spricht, ohne diese konkret zu bezeichnen. Dann gibt es nämlich eine kirchliche Wahrheit, deren Identität zweifelhaft bleibt – womöglich selbst im Bereich definierter Dogmen –, und eine andere, bei der selbst die Abweichung von der herkömmlichen Formulierung schon Sanktionen nach sich zieht. Wo bliebe dann das „Recht auf eine volle und eindeutige Darstellung unveräußerlicher Glaubenswahrheiten“, das Sie in Ihrer Erklärung vom 7. Januar 1980 proklamieren?

Wenn Sie weiter schweigen sollten, wie könnte das Lehramt dem Verdacht entgehen, es sei weniger an der „wahren Botschaft“ interessiert, da es ja eigenen Irrtümern und nicht mehr vertretbaren Auffassungen freien Lauf lässt? Wäre der Eindruck nicht fatal, die Berufung auf verbindliche Lehre diene eher dem Zweck, Disziplinierungsmaßnahmen zu rechtfertigen, je nach Gutdünken den „Knüppel aus dem Sack“ gegen unliebsame Theologen tanzen zu lassen.?

Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie uns alsbald mitteilen könnten, mit welchen Schritten der deutschen Bischofskonferenz wir rechnen dürfen. Da alle Gläubigen von der Angelegenheit betroffen sind, erlauben wir uns, dieses Schreiben der Öffentlichkeit bekanntzumachen.

Mit freundlichen Grüßen. Im Auftrage des Hauptausschusses der AGP: gez.: Carl-Peter Klusmann

Im Gegensatz zu Kardinal Höffner erhielten wir von einigen Konsultoren der DBK durchaus Antworten. Besonderes Interesse verdient das Schreiben des damaligen Prof. Lehmann v. 12.5.80:

„Ihre Anfrage an die Deutsche Bischofskonferenz ist zwar verständlich, aber theologische geradezu eine Verzweiflungstat: Es ist doch gerade ein Vorzug der katholischen Kirche, dass sie keinen Katalog amtlicher Art von verbindlichen Dogmen, ja nicht einmal von Konzilien kennt, so dass es erst recht sinnvoll ist, keine „vollständige Zusammenstellung der bis zum heutigen Tag erkannten Irrtümer des Lehramtes und der nicht mehr vertretbaren Auffassungen“ herauszugeben. Dahinter scheint mir ein sehr quantitativdogmatistisches Verständnis von Glaubenswahrheit zu stehen, das einfach schon im Ansatz verfehlt ist. Es wird immer mehr Wahrheit in der Kirche geben, als Sie durch solche Kataloge erfassen können. Und immer wird auch das Zurückbleiben der Kirche hinter dem Evangelium größer sein, als es solche Zusammenstellungen ergeben könnten. Aber Ihre Forderungen haben ein fast hoffnungsloses Vorverständnis des Verhältnisses von Dogma-Geschichte-Leben-Kirche zur Voraussetzung. Ich kann daher beim besten Willen aus diesem und keinem anderen Grunde Ihr Verlangen nicht unterstützen. […]

Dennoch war mir Ihr Brief in vielem lehrreich, da er die Situation aufdeckt, in der wir stehen.

Mit freundlichen Grüßen Ihr Karl Lehmann“