Etliche Monate vor dem ersten Ökumenischen Kirchentag in Berlin habe ich am 22.10.202 an Kardinal Lehmann geschrieben in der Hoffung, einen Konflikt wie beim vorhergehenden Katholikentag vermeiden zu können. Leider vergebens! Statt dessen reagierten die betroffenen Bischöfe mit Kirchenstrafen..  

„An den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz“

Sehr geehrter Herr Kardinal,

wie Ihnen bekannt ist, hat die „Initiative Kirche von unten“ (IKvu) beim Katholikentag 2000 in Hamburg mit katholischen und nichtkatholischen Teilnehmern einen Gottesdienst gefeiert. Der an der Konzelebration beteiligte katholische Priester wurde anschließend vorübergehend suspendiert. Daran hat sich eine Diskussion angeschlossen, wie sich diese Gruppe, die schon häufig beim „Katholikentag von unten“ in der einen oder anderen Form die Eucharistie ökumenisch gefeiert hatte, in der Beziehung auf dem Ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin verhalten werde bzw. verhalten solle. Denn ein völliger Verzicht auf das gemeinsame Abendmahl seitens der IKvu war realistischerweise ausgerechnet bei einem ökumenischen Kirchentag nicht zu erwarten.

Ich bin zur Zeit Sprecher des gemeinsamen Arbeitskreises „Ökumene“ der IKvu und der „Kirchenvolksbewegung Wir sind Kirche“ (WsK), der zusammen mit der evangelischen Gemeinde „Prenzlauer Berg – Nord“ in Berlin zum Kirchentag drei ökumenische Gottesdienste, davon zwei eucharistische, vorbereitet. Diesen Brief schreibe ich Ihnen allerdings lediglich im eigenen Namen, zwar in Loyalität gegenüber den anderen Mitgliedern dieses AK, aber bisher ohne deren Kenntnis. Jedoch haben mich einige Mitbrüder gedrängt, den Versuch zu unternehmen, auf diese Weise zu einer friedlichen Lösung beizutragen. – Der Anlaß ist folgender:

Im Januar dieses Jahres hatte unser AK die geplanten Gottesdienste für das Programm des ÖKT vorgeschlagen. Am 28. Mai haben Vertreter des ÖKT auf dessen Einladung mit Vertretern der IKvu ein Informationsgespräch geführt, das u.a. eine deutliche Klarstellung darüber erbracht hat, was mit diesen Gottesdiensten beabsichtigt ist und was nicht. Mit Schreiben vom 20. September wurde uns die Aufnahme der Gottesdienste in das Programm des Kirchentages abgeschlagen. Die Begründung nannte zeitliche und räumliche Schwierigkeiten, ließ aber keinerlei theologische oder andere inhaltliche Bedenken erkennen. Dennoch habe ich unverzüglich um Auskunft über die von uns vermuteten wirklichen Gründe gebeten, blieb bisher jedoch ohne Antwort.

Statt dessen kam es in Berlin zu einem öffentlichen Konflikt. Durch eine anscheinend vom Evangelischen Pressedienst verbreitete Information über unser Vorhaben, das wir stets in aller Öffentlichkeit diskutiert und betrieben hatten, fühlte sich offenbar Kardinal Sterzinsky zu einer scharfen Reaktion provoziert. Lt. epd vom 1.10.02 erklärte er, „schweren ökumenischen Schaden“ zu befürchten, wenn beim Kirchentag 2003 gemeinsame Abendmahlsgottesdienste von Protestanten und Katholiken gefeiert würden. Er wurde wörtlich zitiert: „Wenn die kirchenrechtlichen Regeln verletzt werden, werde ich mich in Absprache mit dem Vatikan um entsprechende Sanktionen für die Priester bemühen, die sich daran beteiligt haben.“

Auf meine Bitte an Kardinal Sterzinsky, uns die Bestimmungen des Kirchenrechts zu nennen, deren Verletzung er auf Grund unserer Ankündigung besorgen zu müssen glaube, erhielt ich bis heute unverständlicherweise keine Antwort. (am 27.02.03 entschuldigte sich der Kardinal für seine verspätete Antwort [Hg.]).Angesichts dessen wende ich mich heute an Sie als den Vorsitzenden der Bischofskonferenz. Unabhängig von der Frage Ihrer rechtlichen Kompetenzen und deren Grenzen in diesem Gremium möchte ich offen erklären, welche Verantwortung aus meiner Sicht in dieser Angelegenheit auf Sie als die deutschen Bischöfe zukommt, eine Verantwortung nämlich, die im Falle einer weiteren Eskalation keinesfalls uns trifft.

Aus theologischen, weniger aus kirchenpolitischen Gründen haben sich unsere Gruppen nach einer langen Auseinandersetzung entschieden, 2003 in Berlin auf die Wiederholung einer Inzerzelebration wie in Hamburg 2000 zu verzichten. Ich persönlich hatte dabei auch die stille Hoffnung, das würde von Ihrer Seite honoriert werden und die Bischöfe würden ihrerseits keinen Streit beginnen um eine Praxis, die aus guten Gründen kaum oder gar nicht beanstandet in den deutschen Diözesen weit verbreitet ist. Ich meine die Praxis der sog. eucharistischen Gastfreundschaft, die zwar vom Kirchenrecht nicht hundertprozentig gedeckt ist, aber einen Verstoß gegen can. 908 vermeidet.

Ich weiß selbstverständlich, daß aus unterschiedlichen Gründen die Zeit für eine volle Eucharistiegemeinschaft noch nicht gekommen ist, und respektiere deshalb auch aus Überzeugung  die diesbezügliche „Geschäftsgrundlage“ des ÖKT, solange sie nicht zu Lasten einer Seite überzogen wird. Ebenso gut wissen Sie allerdings auch, daß die geltenden kirchenrechtlichen Beschränkungen theologisch nicht mehr im vollen Umfang unangefochten sind. Insofern leiden sie nicht nur an einem Plausibilitätsdefizit, auch die Legitimationsbasis ist brüchig.

Und dieses Wissen ist längst kein esoterisches Geheimwissen mehr, sondern im Kirchenvolk, wenn auch meist unartikuliert, weit verbreitet. Zwangsläufig beeinflußt es auch die Praxis in den Gemeinden. Fordern wir am Sonntag in der Kirche nicht ständig auf, im Sinne des Evangeliums nicht Gesetze um ihrer selbst willen als Richtschnur zu nehmen, sondern nach dem Sinn aller Gebote zu fragen? Werden hier nicht zu leicht ungelöste Probleme auf dem Rücken derer ausgetragen, die unmittelbar in den Gemeinden und gegenüber den Gemeinden die Verantwortung tragen? In der Einsicht, daß sich aus solchen Überlegungen nicht gleich die Änderung allgemeingültiger Regeln ergibt, glaube ich, mit Ihren Ausführungen zum Thema bei der BK im Herbst 2000 übereinzustimmen.

Jedoch kann ich nicht sehen, daß es bezüglich dieser Frage nur eine unausweichliche Alternative von Legalismus auf der einen Seite und einem individualistischen Anomismus auf der anderen gibt. Ich vermute, dazwischen liegt ein breites Feld vertretbarer Lösungen. Deshalb kann ich auch kein schematisches Entweder-oder als hilfreich ansehen, als wenn eucharistische Gemeinsamkeit, die zweifellos mit der ökumenischen Annäherung nicht schon beginnen kann, deshalb erst am Ende stehen könne. Damit würden wir dem Wirken des Heiligen Geistes Schranken setzen und undankbar sein, für das, was schon gewachsen ist, als stünden wir noch am Nullpunkt. Vollends würde jede Art von Rigorismus über die Köpfe (und Gewissen) der betroffenen Christenmenschen hinweggehen. Ich möchte auch davor warnen, wann immer die Einheit der Kirche als eine Wirkung der Eucharistie zur Sprache kommt, voreilig zu unterstellen, sie solle als schlichtes Mittel zum Zweck gleichsam instrumentalisiert werden.

Jedenfalls bin ich der Überzeugung, daß IKvu und WsK mit ihrem Entschluß, die von ihnen geplanten ökumenischen Gottesdienste beim Kirchentag, aber außerhalb des von anderen zu verantwortenden Programms, bewußt auf der gewählten Basis zu feiern, nicht unerheblich dazu beitragen, bestehende Meinungsverschiedenheiten zu entschärfen und unnötige Konflikte zu vermeiden. Wir planen einen nicht­-­­eucharistischen Mahlgottesdienst, sowie zwei Eucharistiefeiern, eine mit offener Kommunion („begrenzte Zulasssung“), die andere als „Abendmahl für alle“. Bei der erstgenannten folgen  wir im wesentlichen der katholischen Liturgie, die zweite wird (im kirchenrechtlichen Sinne) ein evangelisches Abendmahl sein. Über eine rein rechtliche Kategorisierung hinweg verstehen wir alle drei Gottesdienste als ökumenisch, weil nicht bloß eine Seite die andere einlädt, sondern alle den Gottesdienst gemeinsam feiern.

Ich habe den Eindruck, daß nicht alle, die sich bisher öffentlich zu unserem Vorhaben geäußert haben, diesen behutsamen Plan wirklich verstanden haben. Zu Unrecht glaubte beispielsweise ZdK-Präsident Meyer, vor einer „Interkommunion“ warnen zu müssen. Im Gegenteil kann ich nur hoffen, daß unser Verzicht auf eine Konzelebration (vielleicht auch später bei den Bischöfen?) Schule macht. Jedenfalls kann nicht ausgeschlossen werden, daß sonst außerhalb unserer Gruppen Interzelebrationen in Berlin stattfinden werden und in den Vordergrund treten könnten. Denn mancher betrachtet offenbar allein deshalb schon diese Form auch für die Ökumene als geeignet, weil er/sie die Konzelebration als etwas Alltägliches gewohnt ist.

Vor diesem Hintergrund wäre ich Ihnen dankbar, wenn sie uns bei dem Versuch der De-Eskala­tion helfen würden, indem Sie unter Ihren Kollegen bei entsprechender Gelegenheit zu einer sachgerechten Erläuterung unseres Vorhabens beitragen.

Ich darf Sie sicher um Antwort bitten, die mir bestätigt, daß ich Sie mit der von mir beabsichtigten differenzierten Information erreicht habe.

Mit freundlichen Grüßen, Carl-Peter Klusmann

Auf dieses Schreiben v. 22. Oktober 2002 erhielten wir keine Antwort, nicht einmal eine Eingangsbestätigung.