Viele Krokodilstränen werden gegenwärtig vergossen. Kirchenvertreter aller Ränge und Farben versichern unermüdlich, wie sehr sie sich bereits zum Ökumenischen Kirchentag ein ökumenisches Abendmahl, die gemeinsame Eucharistie, gewünscht hätten. Aber diese sei nun einmal leider aus schwerwiegenden Gründen 2003 noch nicht möglich. Man könne sie auch nicht herbeizwingen. Vorerst sei vor allem Geduld nötig, bis „die Kirche“ anders entscheide. Man müsse Vertrauen auf den hl. Geist haben, der durch den Papst und die Bischöfe die Kirche leite. Solche Vertröstungen hören wir schon seit vielen Jahren, und voraussichtlich werden wir diese auch beim Kirchentag selbst noch bis zum Überdruß zu
hören bekommen.

Es gibt auch andere Auffasssungen. Viele leiden wirklich darunter, daß die römische Kirche weiterhin die Gemeinsamkeit am Tisch des Herrn behindert. Und dieses ehrliche Bedauern kann man ebenfalls bis in „höhere“ kirchliche Kreise antreffen, von denen die Entscheidung aber nicht abhängt. Nicht zu bestreiten ist auch, daß den Verhinderern des gemeinsamen Abendmahles längst die Gründe ausgegangen sind. In unzähligen Gemeinden und Gruppen werden deshalb aus theologischen Einsichten Konsequenzen gezogen, ohne darüber groß zu reden. Solange es offiziell kein grünes Licht für eine gemeinsame Feier gibt, laden sie sich gegenseitig ein. Evangelische Gemeinden heißen diejenigen willkommnen, die an ihrer Abendmahlsfeier teilnehmen. Katholische
Pfarrer weisen diejenigen nicht zurück, die an der Kommunion teilnehmen möchten. Dahinter steckt nicht Oberflächlichkeit, sondern ein tieferes Glaubensverständnis. In diesem sensus fidelium meldet sich der „Glaubenssinn des ganzen Volkes“, wovon das II. Vatikanische Konzil spricht (Lumen gentium 12).

Sollte eine solche eucharistische Gastbereitschaft (oder Gastfreundschaft) beim Kirchentag ausgeschlossen sein? Im Gegenteil, sie ist möglich, und es wird sie geben! Nur haben die Verantwortlichen des Kirchentages den Wunsch, daß darüber möglichst nicht gesprochen wird. Sie fürchten, schlafende Hunde zu wecken, nämlich daß diejenigen weitere Munition bekommen, denen von vornherein ein ökumenischer Kirchentag gegen den Strich ging. Ungeniert kämpfen dagegen die Anhänger des früheren Kolonialbischofs Marcel Lefebvre. Mancher in Amt und Würden sympathisiert heimlich damit, nur wird darüber ebenfalls in der Öffentlichkeit nicht gern geredet.

Nun gab es aber seit 1980 häufiger einen „Katholikentag von unten“, wobei immer wieder katholische und evangelische Christen das Mahl des Herrn gemeinsam gefeiert haben. Nicht anders war es auch noch beimletzten Katholikentag 2000 in Hamburg, wo dem beteiligten kath. Priester seine Mitwirkung die Suspendierung einbrachte. Die „Initiative Kirche von unten“ (IKvu) und die 1995 aus dem KirchenVolksBegehren entstandene Gruppe „Wir sind Kirche“ (WsK) haben sich daher für den Ökumenischen Kirchentag in Berlin zweierlei vorgenommen:

1. Allen Hindernissen zum Trotz feiern wir wieder das Abendmahl gemeinsam. 2. Wir beschränken uns dabei aber auf die Praxis eucharistischer Gastfreundschaft. Die gegenseitige Einladung finden wir sogar besser als ein Großaufgebot kirchlicher „Würdenträger“. Gleichzeitig tragen wir der Kritik unseres Gottesdienstes beim letzten Katholikentag Rechnung. Denn es geht uns nicht um eine vom Kirchenrecht verbotene Interzelebration, geschweige denn um eine Demonstration, sondern um die Gemeinschaft am Tisch des Herrn. So werden wir ökumenisch Gottesdienst feiern, einmal mit der offenen Kommunion, ein anderes Mal mit dem Abendmahl für alle.

Diese Gottesdienste hatten die genannten Gruppen zusammen mit der ev. Berliner Gemeinde „Prenzlauer Berg – Nord“ für das offizielle Programm des Kirchentages angemeldet. Sie wurden jedoch abgelehnt. Als dann unser Plan durch die Presse öffentlich bekannt wurde, gab es heftige Vorwürfe, als wenn wir den Kirchentag gefährdeten. Kaum jemand machte sich dabei die Mühe, sich zuvor über unsere Absichten korrekt zu informieren. Zum Glück gab es auch faire und wohlmeinende Kritiker. Diesen wollen wir gern Rede und Antwort stehen. In der Hauptsache geht
es um zwei Punkte:

1) Durch unsere Ankündigung, das Abendmahl gemeinsam zu feiern, haben wir ein Tabu gebrochen. Denn wir praktizieren nicht nur eucharistische Gastbereitschaft, was von ev. Seite begrüßt und von kath. Seite bestenfalls stillschweigend toleriert wird, sonderen wir laden dazu auch in aller Offenheit ein. Ob das eher die Freunde oder die Gegner der Ökumene bestärkt, darüber kann man natürlich streiten. Wir können jedoch nicht ruhigen Gewissens das beim Kirchentag von vielen erwartete Zeichen der Hoffnung schuldig bleiben. Das schließt nicht aus sondern ein, auch viele andere ökumenische Initiativen dankbar anzuerkennen.

2) Mancher, der nur in traditionellen Kategorien denkt, kann sich anscheinend eine eucharistische Gastbereitschaft innerhalb eines ökumenischen Gottesdienstes kaum vorstellen. Sie scheint ihm ein Widerspruch in sich zu sein, wie ein hölzernes Eisen. Lediglich bei einer kath. Messe oder bei einem ev. Abendmahl ist ihm die Gastfreundschaft verständlich, vielleicht sogar willkommen. Auf die dahinter stehenden Fragen will ich zu antworten versuchen. Dafür gibt es drei Ansätze: a) einen liturgischen, b) einen kirchenrechtlichen und c) ein weithin bekanntes Beispiel.

a) Wodurch unterscheidet sich ein ökumenischer Gottesdienst von einem konfessionellen?

Eine kirchenamtliche Definition gibt es nicht. Wir meinen, wenn Christen aus verschiedenen Teilkirchen (Konfessionen) gemeinsam Gottesdienst feiern, kann von Ökumene gesprochen werden. Oft wird das durch die Anwesenheit oder Mitwirkung von Amtsträgern der beteiligten Kirchen besonders unterstrichen. Es gibt aber ohne Zweifel in beiden Konfessionen auch Gottesdienste in deren Abwesenheit. Daher ist das Charakteristische eines ökumenischen Gottesdienstes nicht auf der Ebene des Amtes zu suchen, sondern im gemeinsanen Glauben derer, die diesen Gottesdienst
feiern. Damit sind selbstverständlich alle Aussagen und Riten ausgeschlossen, durch die nicht die Gemeinsamkeit, sondern die (ohnehin zweitrangigen) konfessionellen Eigenheiten betont oder gar andere Christen vor den Kopf gestoßen werden. Niemand kann bestreiten: Das Mahl des Herrn ist der ganzen Christenheit anvertraut. Wenn kath.und ev. Christen gemeinsam das Sakrament empfangen, geschieht Ökumene, gleichgültig, ob die Abendmahlsworte ein/e kath. oder ev. Geistliche/r spricht.

b) Was sagt das (katholische) Kirchenrecht dazu?

In der Antwort auf diese Frage spiegelt sich noch ein vorkonziliarer Konfessionalismus wider, da das Recht meist seiner Zeit hinterherhinkt, das kanonische vor allem. Wen das nicht interessiert, oder wen das ärgert, sollte diesen Abschnitt überschlagen.

Liturgisch gesehen ist ein ökumenischer Gottesdienst (a) ein gemeinsamer christlicher Gottesdienst mit Lesung(en) der Heiligen Schrift, evtl. Predigt (Ansprache), Gebet und Gesang. Ein solcher Gottesdienst kann nach unserer Auffassung als ökumenischer Abendmahlsgottesdienst (b) bezeichent werden, wenn er verbunden ist mit der Möglichkeit, an der Kommunion bzw. dem Abendmahl teilzunehmen.

Aus der Sicht des katholischen Kirchenrechts handelt es sich beim ökumenischen Gottesdienst (a) um eine communicatio in spiritualibus (vgl. LThK 7,1031). Bei einem ökumenischen Abendmahlsgottesdienst (b) sind unterschiedliche Formen denkbar. Eine Interzelebration ist nicht zulässig (can. 908 c.i.c.) und nach meiner Meinung als klerikale Konzelebration auch nicht wünschenswert. Wenn anläßlich oder innerhalb eines ökumenischen Gottesdienstes (a) Eucharistie gefeiert wird, wobei nichtkatholische Kommunikanten nicht zurückgewiesen werden
(eucharistische Gastbereitschaft), beteiligen sich diese an einer communicatio in sacris. Im Codex iuris canonici wird diese untersagt (can. 844, §1), obgleich sie inzwischen weit verbreitet und beim Ökumenischen Kirchentag stillschweigend vielfach durchaus erwünscht ist. Ebenso verhält es sich, wenn Katholiken bei einer vergleichbaren Gelegenheit am Abendmahl teilnehmen. In der ev. Kirche ist eucharistische Gastbereitschaft selbstverständlich.

Welche Überzeugungskraft gegenüber dem einzelnen Katholiken dem Verbot des § 1 im can. 844 innewohnt hängt im konkreten Fall jeweils vom eigenen Gewissen der Betroffenen ab und damit die tatsächliche Verbindlichkeit dieses Gesetzes (sh. http://www.ikvu.de/abendmahl/faqgemeinsames-abendmahl.html, Frage 10). Für die anläßlich des Ökumenischen Kirchentages geplanten ökumenischen Gottesdienste mit „offener Kommunion“ bzw. mit „Abendmahl für alle“ jedenfalls ist Grundlage die eucharistische Gastfreundschaft (Gastbereitschaft).

c) Ökumenische Gottesdienste mit konfessionellen Elementen sind offizielle Praxis

Ein guter Vergleich ist die „Gemeinsame kirchliche Trauung“ konfessionsverschiedener Paare unter Beteiligung der Pfarrer beider Kirchen. Dafür gibt es eine „Ordnung“, 1971 herausgegeben von der Deutschen Bischofskonferenz und dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland. Allgemein werden Trauungen gemäß dieser Ordnung als „ökumenisch“ bezeichnet, obwohl sie,  kirchenrechtlich gesehen, das keineswegs sind. Denn der eigentliche Trauungsakt ist jeweils ein konfessioneller. Das wird dadurch unübersehbar, daß für die Trauung in einer ev. Kirche (genauer müßte es heißen: mit offizieller Assistenz eines ev. Pfarrers) wie bei einer „rein evangelischen“ Trauung für den kath. Partner eine „Dispens von der Formpflicht“ erforderlich ist. Die Beteiligung des kath. Pfarrers an der Hochzeitsfeier ist in diesem Fall kirchenrechtlich ohne Belang, obwohl zweifellos der Gottesdienst als ganzer ökumenisches Gepräge hat. Also handelt es sich hier eindeutig um einen ökumenischen Gottesdienst mit einem ausgesprochen konfessionellen Element.

Bei dieser Gelegenheit wird sogar der konfessionelle Teil, der Trauungsakt selbst, völlig unterschiedlich verstanden. Das macht unser Beispiel, daß die Kommunion bzw. das Abendmahl nach konfessioneller Liturgie innerhalb eines ökumenischen Gottesdienstes gefeiert wird, im Vergleich zu einer solchen Trauung zu einem höchst unverfänglichen Vorgang. Denn aus theologischer Sicht sind Eucharistie und Abendmahl dasselbe, nämlich das Mahl des Herrn. Nach kath. Verständnis wird aber bei einer kirchlichen Trauung die Ehe geschlossen, während nach ev. Verständnis
die bereits beim Standesamt geschlossene Ehe (nur) eingesegnet wird.

Aus all dem ergibt sich:

Eine Kommunion nach katholischer und ein Abendmahl nach evangelischer Tradition innerhalb eines ökumenischen Gottesdienstes mögen manchem schwer verständlich sein. Damit erfinden wir das Rad aber nicht neu, wir fahren nur damit. Dabei haben wir theologisch, d.h. vom christlichen Glauben her, soliden Boden unter den Füßen. Allerdings ersetzen wir Theologie als ständiges Bemühen, Gottes Botschaft an unsere Welt zu verstehen, nicht durch das Kirchenrecht. Der Codex iuris canonici ist Menschenwerk. Wir kennen die Bedenken gegen unsere Gottesdienstebeim Kirchtentag und nehmen sie ernst, soweit sie nicht oberflächlich oder bösartig sind. Für uns wiegt allerdings eine andere Verpflichtung schwerer. Wir dürfen nicht diejenigen im Stich lassen, die beim Kirchentag das Mahl des Herrn nicht wiedererkennen können, so lange andere Christen wie in Antiochia von der Tischgemeinschaft ausgeschlossen (Gal 2,11ff) oder wie in Korinth beim Gemeindemahl zurückgesetzt werden (1 Kor 11,17ff). Solche Überlegungen waren es, welche die ev. Gemeinde vom Prenzlauer Berg und die (überwiegend) kath. Reformgruppen zusammengeführt und darin bestärkt haben, beim Kirchentag gemeinsam das Abendmahl zu feiern.

Carl-Peter Klusmann
03/1