Der langjährige Geschäftsführer der AGP beging seinen 80. Geburtstag
Im April traf sich der Freundeskreis der ehemaligen SOG-Paderborn zu seiner monatlichen Gesprächsrunde – ein Routinetermin. Anschließend ging man, wie immer, in ein türkisches Restaurant zum Abendessen. Die Ausnahme: Diesmal gingen alle Anwesenden mit, der Kreis war auch etwas größer als sonst. Dafür gab es einen Grund: Carl-Peter Klusmann hatte aus Anlass seines 80. Geburtstages eingeladen. Ein solches Datum, das sonst Anlass zu großen Feiern und nicht selten zu unwahrhaftigen Lobhudeleien ist, wurde von dem „Geburtstagskind“ ohne großes Aufheben um seine Person geradezu alltäglich begangen, fast nüchtern, aber doch mit einem Zeichen der Zugehörigkeit und der Verbundenheit. Es passte!
Natürlich verbot der einfache „Rahmen“ große Reden. Der jetzige AGP-Geschäftsführer wollte aber den Anlass nicht einfach wortlos übergehen. Einige seiner „Hinweise“ – etwas erweitert – sollen hier (mit seinem Einverständnis) wiedergegeben werden.
Mann der ersten Stunde
Carl-Peter gehört zu den Männern der ersten Stunde der AGP. Damals, 1969/1970, hatten sich zunächst Priestergruppen gebildet und zusammengeschlossen, um die Impulse des Zweiten Vatikanischen Konzils aufzunehmen, umzusetzen – und nicht zuletzt gegen restaurative Kräfte zu verteidigen. Wichtige programmatische Weichenstellungen gehen auf ihn zurück. Die programmatischen Texte, die in der Anfangszeit die brennenden Probleme benennen und notwendige Lösungswege aufzeigen, tragen in nicht unerheblichem Maße seine Handschrift. Sie sollten nicht nur für die folgenden Jahre ihre Gültigkeit behalten – sie sind noch heute von einer überraschenden und zum Teil erschreckenden Aktualität, weil sich die Problemlage inzwischen verschärft hat und die Lösungen immer noch nicht angegangen werden.
Vor dem Konzil konziliar
CP – wie sein bald weithin bekanntes Kürzel lautete – gehört noch zu der Generation, die nicht nur in der vorkonziliaren Kirche sozialisiert wurden, sondern in ihr auch schon die ersten theologischen Schritte zurücklegten. Von seinen alten Wegbegleitern und Mitstreitern wird sehr glaubhaft versichert, dass er schon vor dem Konzil konziliar gedacht hat. Vor allem die Dürftigkeit der theologischen Ausbildung und die Mittelmäßigkeit ihrer Paderborner Vertreter waren ihm ein Graus. Das hat mit dazu beigetragen, dass er alle Aufgaben, die er später übernahm, auf der Basis einer gründlichen theologischen Reflexion erfüllte, zu der im Laufe seines Lebens immer mehr das Bohren dicker philosophischer Bretter hinzukam. Natürlich führte das bei Kollegen, aber sicher auch in Gemeinden, zu Irritationen; vor allem bei denen, die es „nicht so genau nahmen“ bzw. auch theologisch gerne einmal „fünf grade sein ließen“, die nicht, wie er, im Arbeitszimmer von Büchern umgeben waren, in deren Bücherregalen vielmehr nur Amtsblätter und Reiseführer standen. Für intellektuelle Faulheit bei der Begründung und Durchdringung des Glaubens hatte er kein Verständnis. Seine Reaktion konnte dann manchmal brüsk und sein Urteil scharf sein.
Hartnäckig stritt er aber auch mit Wegbegleitern und zwang sie so, ihre eigene Meinung gründlicher zu durchdenken. Dass es bei diesen gleichsam „internen“ Auseinandersetzungen nicht immer zu einer Einigung kam, ist selbstverständlich, ebenso wie die Bereitschaft zu vernünftigen Kompromissen. Dass es aber durchaus gelegentlich zu persönlichen Verstimmungen kommen konnte, soll hier nicht verschwiegen werden.
Gemeinde als Ort praktischer Bewährung
Bei aller Begeisterung und Befähigung zur theoretischen Auseinandersetzung blieb diese bei ihm immer durch seine Arbeit in der Gemeinde geerdet, war durch Erfahrungen in ihr angeregt und beeinflusst – und führte wieder zu ihr, zur Praxis zurück. Sicher war das für die Menschen, die sich auf seine Art zu denken und auf das entsprechende pastorale Handeln einließen, von großem Gewinn. Gerade weil es ihm bei der Gemeindearbeit nicht darum ging, den Betrieb auf-recht zu erhalten oder beliebige Erwartungen zu erfüllen, war er – der „Jubilar“ möge mir verzeihen – ein guter Pastor. Er hat das spannungsreiche Verhältnis von Orthodoxie und Orthopraxie nicht vorschnell aufgelöst, sondern durchgehalten, manchmal durchaus mit leidvollen Erfahrungen.
Politische Sensibilität
Seit ihren Anfängen hat sich die AGP nicht nur innerkirchlichen Problemen gewidmet, sondern sich auch den gesellschaftlichen und politischen Problemen gestellt. An dieser entscheidenden und im damaligen CDU-katholischen Milieu gar nicht selbstverständlichen Weichenstellung war C.P. Klusmann maßgeblich beteiligt. Grund dafür war die Einsicht, dass sowohl die Probleme als auch deren Lösung in Kirche und Welt miteinander verschränkt sind. Das Versagen der offiziellen Kirche im 3. Reich war für Carl-Peter ein besonders bedrückendes Beispiel der skandalösen Komplizenschaft zwischen den Mächtigen in Kirche und Politik. Deswegen ging es ihm bei seinem Engagement für die Kirchenreform und bei der kritischen Begleitung politischer Vorgänge vor allem darum zu verhindern, dass Menschen zu Opfern gemacht werden. Darum hat er sich in den letzten Jahren wie kaum ein anderer besonders mit ökonomischen Zusammenhängen befasst, hat dafür gesorgt, dass die entsprechenden Probleme zum Thema in der AGP und die verheerenden Folgen der Götzen Markt und Geld in einer nur am Profit orientierten globalisierten Wirtschaftsordnung bewusst wurden. Es erscheint ein wenig paradox, wenn seine Kritik und seine Betonung der theologischen Relevanz eines entfesselten Kapitalismus nun durch die Kapitalismuskritik des Papstes und dessen Forderung nach einer Kirche der Armen eine quasi-kirchenoffizielle Bestätigung finden. Es wird für C.P. keine besondere Genugtuung sein. Doch sicher wird er die päpstliche Kritik begrüßen; sie wird ihm aber nicht ausreichen, da sie seiner Meinung nach wohl zu sehr auf der moralischen Ebene verbleibt.
Konzentration auf den Kern des Glaubens
Vieles vom kirchlichen Alltag ist Carl-Peter inzwischen fremd geworden; von vielem hat er sich verabschiedet. Auch hier sind die vorgenommenen Trennungen manchmal von einer Schärfe, zu der man nur schwer einen Zugang findet. Aber sie werden mit Glaubwürdigkeit und mit der Authentizität vorgenommen, die immer schon ein Kennzeichen für sein Denken, Reden und Handeln waren. Er scheint manchmal von einer cartesianischen Bedingungslosigkeit bestimmt, wenn er nach der Möglichkeit des Glaubens oder nach dem Grund religiöser Bindung fragt und sich jedes christlich geprägte Vorwissen verbietet, um gleichsam von einem existenziellen und philosophischen Nullpunkt dem Geheimnis des eigenen Lebens und der Welt auf die Spur zu kommen.
Ein besondere Bedeutung spielt in diesem Kontext für ihn das Problem der Theodizee, das dann wiederum den Schlüssel zu einer Antwort zu beinhalten scheint bzw. als Ausgangspunkt eines Antwortversuchs dienen kann – und hier spielt das soeben erwähnte zentrale Grundanliegen von C.P wieder eine Rolle –, weil eine Antwort auf die Grundfragen des Menschen nach sich selbst und nach Gott eine Antwort auf die Frage nach der Gerechtigkeit für die Opfer der Geschichte ermöglichen muss. Theologie ist Anthropologie – ein weitere Grundthese, die das theologische Denken von Carl-Peter kennzeichnet und zugleich seine erkenntnistheoretischen Grenzen aufzeigt.
SOG-Papiere – Spurensuche
Über Jahrzehnte war er hauptverantwortlicher Redakteur der SOG-Papiere. Wenn man sich auf die Spurensuche nach seinen theologischen Schritten bzw. Entwicklungen machen möchte, kann man in die zahllosen Artikel schauen, die er verfasst hat und die ein äußerst breites Spektrum an Fragen umfassen. Auch das Mitteilungsblatt der AGP war also untrennbar mit seinem Namen verbunden. 2010 hat er zusammen mit Edgar Utsch eine Bilanz von 40 Jahren AGP-Arbeit herausgegeben: „Dem Konzil verpflichtet – verantwortlich in Kirche und Welt“ – so der Titel des Buches. Von den darin veröffentlichen Texten und Stellungnahmen stammen viele aus seiner Feder, in anderen steckt ganz viel von seinen Gedanken und Impulsen.
Die AGP und ihre Mitgliedsgruppen verdanken dem nun 80-Jährigen mehr als dieser selbst für sich reklamieren oder auch nur zur Sprache bringen würde. Auch andere kirchenkritische Gruppierungen, vor allem die Initiative Kirche von unten, bei deren Gründung er mitgewirkt und deren Arbeit er lange begleitet hat, verdanken ihm viel, sind in ihrer Entwicklung oder in einzelnen Phasen ohne ihn nicht verstehbar. Keine Heiligsprechung (s.u.), aber ein herzlicher Dank! Edgar Utsch
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