Seit Jahren geistert in der katholischen Kirche das Programmwort „Neuevangelisierung“ umher. Was daran neu ist, bleibt unklar. Ob die bisherigen Reste der sogenannten Volkskirche revitalisiert werden sollen, ist eine Frage. „Neu“ bedeutet vielleicht nur einen Unterschied zur früheren „Heidenmission“. Besonders heikel ist die Frage, ob frühere kirchliche Aktivitäten den persönlichen „Glauben“ an Gott wecken (die fides qua) oder nur kirchliche Gewohnheiten und entsprechenden Gehorsam fördern sollten. Viele haben das oft als eine Art von Dressur empfunden, Auf die Weise wäre bestenfalls religiöses Wissen (also die fides quae) verbreitet worden.
Häufig wird ein Rückgriff auf heutige Werbemethoden empfohlen. Was würde damit erreicht? Vielleicht ein vorübergehendes Interesse für den Reklameartikel Religion oder Kirche. Das erinnert an den wertlosen Dämonenglauben, von dem im Jakobusbrief (Jak 2,19) die Rede ist. Was also soll mit einer Erneuerung erreicht werden?
Wenn nicht alles täuscht, kommen viele Zeitgenossen inzwischen über die in den Medien kursierenden kirchlichen Streitfragen kaum hinaus. Sie entdecken bestenfalls Fragen nach Gott, vor allem die Frage, ob es diesen überhaupt gibt. Das beste Symptom dafür, daß diese und derartige Fragen in der offiziellen Kirche ganz und gar keinen Widerhall finden, bieten zwei Verlautbarungen aus Rom, nämlich der sogenannte Weltkatechismus und das Gegenstück für Jugendliche mit dem Titel Youcat. Professor Peter Knauer SJ hat das peinliche Versagen in der Gottesfrage dieser Druckwerke unmißverständlich analysiert. Es lohnt sich, in beiden Fällen den Autor wörtlich zu zitieren.
Zum „Katechismus der Katholischen Kirche“ heißt es: „Erster Hauptteil, 1) Wie wird das Wort „Gott“ eingeführt? Im Prolog des Katechismus stellen die drei ersten Nummern eine Art Zusammenfassung des Ganzen dar. Der erste Satz lautet „Gott ist in sich unendlich vollkommen und glücklich.“ Hier wäre es wünschenswert gewesen, zu sagen, wie man überhaupt dazu kommt, das Wort „Gott“ zu gebrauchen oder wenigstens, was genau der eigentliche Anlass ist, sich mit diesem Wort zu befassen und was dieses Wort bedeutet. Die Bedeutung dieses Wortes wird aber im Text als von vornherein bekannt vorausgesetzt. Hinzufügend wird nur gesagt, Gott habe „in einem aus reiner Güte gefassten Ratschluss“ und „aus freiem Willen“ den Menschen erschaffen, damit dieser an seinem glückseligen Leben teilhabe. Faktisch wird damit übergangen, dass gerade nach der traditionellen katholischen Lehre Gott „unbegreiflich“ ist (DH 800, 3001), also nicht unter Begriffe fällt und man deshalb auch nicht von ihm als einem Ersterkannten ausgehen kann. Wir wissen nicht zuerst, wer Gott ist, um dann zu sagen, er habe uns erschaffen. Wenn man jedoch nicht von vornherein darüber Rechenschaft gibt, wie man denn dann überhaupt von Gott reden kann, wird alles Weitere bei aller vermeintlichen Klarheit unter einem Schleier der Unverständlichkeit verbleiben.“
Nicht besser verhält es sich mit dem Jugendkatechismus YOUCAT: „Er bietet ähnlich wie bereits der Katechismus der Katholischen Kirche eher nur eine addierende Aufzählung von Glaubensaussagen. Die Verstehensfrage wird kaum gestellt, und es wird auch nicht deutlich, dass alle Glaubensaussagen in Wirklichkeit nur ein einziges Glaubensgeheimnis, unsere Gemeinschaft mit Gott, erläutern. Das Gottesverständnis: Schon im ersten Abschnitt (n. 1) des Youcat ist von „Gott“ die Rede, ohne zu sagen, wie man überhaupt dazu kommt, von Gott zu sprechen bzw. was dieses Wort genau bedeutet.“
Die alltägliche Praxis zeigt, daß inzwischen viele Zeitgenossen, sollten sie sich tatsächlich gelegentlich mal auf religiöse Themen verirren, manchmal etwas gelangweilt, bei der skeptischen Frage, ob es so etwas wie Gott überhaupt gibt, stecken bleiben. Völlig weltfremd erklärt der Katechismus unter Nr. 1124: „Der Glaube der Kirche geht dem Glauben des einzelnen voraus, der aufgefordert wird, ihm zuzustimmen.“ Nach meinem Verständnis verhält es sich umgekehrt. Jeder einzelne muß sich selbst prüfen und entscheiden, ob er an Gott glaubt (bzw. glauben kann). Die Kirche als Organisation kann weder glauben noch ungläubig sein. Offenbar ist hier im Katechismus nicht von einer erfahrbaren, nämlich der realexistierenden Kirche die Rede. Die Autoren haben nur ihr frommes Idealbild von Kirche vor Augen oder im Sinne der fides quae die Fülle des depositum kirchlicher Lehren. Ob diese Sicht geeignet ist, erfolgreich Abseitsstehende für die Kirche zu gewinnen gar sie zu „evangelisieren“ und für diese „eine persönliche Bindung an Gott“ (KKK 150) zu stiften?
Vielleicht verbirgt sich hinter diesem Ungeschick aber noch eine viel brisantere Problematik. Diese führt dazu, daß selbst Theologen bei der Gottesfrage leicht ins Stolpern geraten. Eine zunächst nur wenigstens vordergründig tragfähige Antwort verlangt einen kurzen Rückblick in die Geschichte. Haben wir nicht schon öfter kleinlaut unsere vollmundige Gotteslehre zurechtstutzen müssen?
Eines der krassesten Beispiele bietet das Konzil von Florenz (1431-1445): (Die Kirche) „glaubt fest, bekennt und verkündet, daß „niemand, der sich außerhalb der katholischen Kirche befindet, nicht nur (keine) Heiden”, sondern auch keine Juden oder Häretiker und Schismatiker, des ewigen Lebens teilhaft werden können, sondern daß sie in das ewige Feuer wandern werden, […] „Und niemand kann, gerettet werden, wenn er nicht im Schoß und in der Einheit der katholischen Kirche bleibt“ (DH 1351). Leo XIII. meinte, den Willen Gottes noch genauer zu kennen, daß der Glaube „die vollkommene Unterwerfung im Gehorsam unter die Kirche und den römischen Papst wie unter Gott“ (!) verlange (in: „Sapientiae christianae“).
Die Kirche hat bis heute immer mehr von dieser arroganten Position runtersteigen müssen. Inzwischen gilt als unbestreitbar, daß nicht nur andere Christen, auch Gläubige anderer Religionen, selbst Nichtgläubige Gott finden können. Dessen Existenz ist wiederum gleichzeitig weder zu beweisen noch zu widerlegen. Dietrich Bonhoeffer vertrat unter diesen Umständen die Folgerung, wir Christen müßten in der Welt leben „etsi deus non daretur“ (als ob es Gott nicht gäbe). (Widerstand und Ergebung 1964, S.177) Er war überzeugt, „wir gehen einer völlig religionslosen Zeit [im üblichen Sinn verstanden] entgegen.“ (ebd. 132). Andererseits gibt es gute Gründe, weiterhin an Gott zu glauben, selbst wenn dessen Existenz nicht gesichert ist. Ich bin zu wenig Philosoph, um mich dabei auf Immanuel Kant berufen zu können und dessen Unterscheidung von reiner und praktischer Vernunft, welch letztere bekanntlich Gott als Postulat kennt. Zeit unseres Lebens müssen wir Menschen uns damit abfinden, dass wir bestenfalls auf Gott hoffen können. Für die Vernunft bleibt uns nur eine Hypothese. Ich selbst habe keinen Grund, mich zu beklagen, dass ich ungefragt in eine katholische Familie hineingeboren und darin – zumal in der Nazizeit! – aufgewachsen bin.
Carl-Peter Klusmann
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