Wie allgemein bekannt, wird es beim kommenden Ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin keine von Papst und Bischöfen gebilligten gemeinsamen Eucharistiefeiern evangelischer und katholischer Christen geben. Alle Welt bedauert das. Viele, nicht zuletzt in konfessionsverschiedener oder konfessionsverbindender Ehe Lebende, Unzählige, die ihr Leben lang um die Einheit der Christen gebetet, für sie gekämpft und gelitten haben, fühlen sich vor den Kopf gestoßen. – Ich frage mich jedoch auch, welche Selbstzelebration der Hierarchie uns auf diese Weise beim ökumenischen Kirchentag vermutlich erspart bleibt. Vielleicht ist die oberkirchliche Weigerung, das Abendmahl gemeinsam zu feieren, in gewisser Hinsicht sogar zu begrüßen. Eine solche Vermutung ist provozierend. Sie bedarf der Rechtfertigung.

 

Vorweg möchte ich bemerken, daß ich es für einen Skandal halte, wenn unsere „Oberhirten“ sich dem fragwürdigen Vorbild des Kephas, alias Petrus, in Antiochia anschließen und so tun, als ob evangelische Christen weniger zur Kirche Jesu Christi gehörten und weniger zum Mahl des Herrn eingeladen seien als wir Katholiken. Kephas hatte sich nämlich von der Tischgemeinschaft mit den Christen heidnischer Herkunft zurückgezogen aus Angst vor den superorthodoxen Aufpassern der fundamentalistischen Gruppe von Judenchristen um Jakobus in Jerusalem (vgl. Gal. 2,11 ff). Liegt da nicht eine Ähnlichkeit mit heute auf der Hand?

Andererseits stelle ich mir vor, es wäre anders gelaufen, Rom hätte grünes Licht für die gemeinsame Eucharistie beim Kirchentag gegeben. Wie hätte das ausgesehen? Sicher eine „Verbrüderung“ auf höchstem Niveau. Ich befürchte, wie eine „Papstmesse“ ohne Papst. Aus allen Gegenden strömen Würdenträger herbei, viele Mitraträger wollen „konzelebrieren“ dürfen. Allein der gängige Begriff „Papstmesse“ ist entlarvend. Gibt es auch „gewöhnliche“ Messen, etwa Pfarrermessen, Kaplansmessen usw.? Nun, wenn der Papst zu Hause bleibt, gäbe es vielleicht eine Nuntiusmesse, wenigstens eine Kardinalsmesse. Unsere Kirche ist bekanntlich auf vielen Gebieten anderen weit voraus. In diesem Fall bei der „Präzedenz“ (der Regelung des protokollarischen Vorrangs, vgl. cic/1917 can. 106). Diese wird von Politikern nur nachgeahmt, wenn sie auf „gleicher Augenhöhe“ oder Einhaltung der „Kleiderord­nung“ bestehen. Also muß die richtige Rangordnung bei der Auswahl der nichtkatholischen Partner selbstverständlich genau beachtet werden. Ohnehin wirken die evangelischen Kirchenpräsidenten oder Bischöfe bei gemeinsamen Anlässen etwas kümmerlich. Was stellen die schon vor, erst recht im Fernsehen?

Mit oberstkirchlicher Lizenz

Jedenfalls dürften die Evangelischen, so stelle ich mir vor, dieses Mal mit am Altar stehen, mit ihren katholischen Kollegen konzelebrieren. Sie dürften im Chor mit ihnen die „Wandlungsworte“ sprechen, also Brot und Wein konsekrieren. Kurzum: Ein mit oberstkirchlicher Lizenz  veranstalteter ökumenischer Kirchentag würde zweifellos mit Pauken und Trompeten „interzelebriert“. Im Vorfeld würde es ein Tauziehen geben, welche Bischöfe, Prälaten, Generalsuperintendenten usw. mit dabeisein dürfen. Wir Katholiken haben darin Übung. Bei allen größeren Anlässen wird „konzelebriert“. Da gibt es einen möglichst ranghohen Haupt- und je nach Prominenz und Anlaß unter Umständen etliche Nebenzelebranten. Neben ihnen oder in zweiter Rehe sieht man womöglich dienstbeflissene und liturgieversessene Diakone. Zweifellos oft eine tolle Sache!

So oder ähnlich wäre das sicher in Berlin geworden, auf dem ersten ökumenischen Kirchentag der Geschichte. Denn, daß bei dieser Gelegenheit vielleicht die Bischöfin Jepsen aus Hamburg die Eucharistie mit den Abendmahlsworten gesprochen hätte und nach Vaterunser und Friedensgruß die Kardinäle Lehmann, Meisner, Sterzinsky und andere katholische „Würdenträger“ sich schlicht die Kommunion hätten reichen lassen – wer soll das glauben?

Wir ahnen gar nicht, welches erhabene Schauspiel uns nun beim Kirchentag entgeht oder erspart bleibt. Diese schönste Ökumene, die es noch nie gegeben hat, muß nun 2003 ins Wasser fallen! Bei den Hauptgottesdiensten wird penibel darauf geachtet, daß möglichst nichts an eine Eucharistiefeier erinnert, sonst könnten die Frommen mit ihrem Katechismus-Glauben arg ins Schleudern kommen und irgendeine höhere Instanz doch recht böse werden.

Insofern hat das römische „Nein“ für eine gemeinsame Eucharistie vielleicht auch sein Gutes. Ohnehin „wächst Ökumene von unten“. Sehr wahrscheinlich wird es völlig unspektakulär zahlreiche gemeinsame Abendmahlsfeiern geben, nämlich überall dort, wo Christen ohne Rückfrage nach der angestammten Konfession „eucharistische Gastfreundschaft“ gewährt wird. Das wird zwar von der (römisch-katholischen) Obrigkeit nicht gern gesehen. Aber es geschieht inzwischen außerhalb des Kirchentages landauf landab und – was noch wichtiger ist – mit guten Argumenten und bestem Gewissen, so daß unsere Episkopen das nolens volens meist tolerieren in der stillen Hoffnung, die Scharfmacher in Rom würden das nicht spitzkriegen.

Vor allem habe ich vor Augen die ökumenischen Gottesdienste beim Kirchentag 2003, wo eucharistische Gastfreundschaft nicht nur (mehr oder weniger stillschweigend) gewährt sondern dazu eingeladen wird. Ich denke an die ökumenischen Gottesdienste, die von den Kirchenreformgruppen „Initiative Kirche von unten“ (IKvu) und „Wir sind Kirche“ (WsK) gemeinsam geplant werden. Beteiligen wird sich die Evangelische Kirchengemeinde Berlin, Prenzlauer Berg – Nord (sh. SOG-Papiere Nr. 4, S. 16 und Nr. 5-6, S. 21).

Haben die Bischöfe Angst?

Im Vorfeld des Kirchentages hat es bereits einigen Wirbel gegeben, obwohl diese Pläne vor aller Augen offengelegt wurden. Anscheinend haben die katholischen und evangelischen Bischöfe in den Gremien des Kirchentages Angst vor dem, was dort geplant wird und auch für das offizielle Programm des Kirchentages vorgeschlagen worden war. Darum wurde IKvu und WsK mitgeteilt, daß der Kirchentag leider diese Vorschläge nicht aufnehmen könne, da „nur ein enges Zeitfenster und begrenzter Raum zur Verfügung“ stehe. Beschwichtigend ist von „interessanten Programmvorschlägen“ die Rede. Kein Wort von theologischen Bedenken!

Gleichzeitig allerdings wird den beteiligten evangelischen Gemeinden von ihrem Bischof die Hölle heiß gemacht. Ihnen wird dringend nahegelegt, um des „konfessionellen Friedens“ willen ihre Zusage, bei den geplanten Gottesdiensten mitzumachen, wieder zurückzuziehen. Kardinal Sterzinsky holt sogar einen Knüppel aus dem Sack, er will seinen großen Bruder herbeirufen: „Wenn die kirchenrechtlichen Regeln verletzt werden, werde ich mich in Absprache mit dem Vatikan um entsprechende Sanktionen für die Priester bemühen, die sich daran beteiligt haben“, sagte der Berliner Kardinal Georg Sterzinsky laut Evangelischem Pressedienst. Er befürchte „schweren ökumenischen Schaden“, wenn beim Kirchentag 2003 gemeinsame Abendmahlsgottesdienste von Protestanten und Katholiken gefeiert würden.

Vermutlich befürchtet der Kardinal, zweifellos ein routinierter Konzelebrant, wir wollten ihm bei der zukünftigen großen Einheitsfeier zuvorkommen, ihm und seinen Kollegen die Schau stehlen. Daß die geplanten Gottesdienste nach offiziellem Schema gar nicht in die Schublade „gemeinsame Eucharistiefeiern“ passen, hat er wahrscheinlich noch gar nicht mitbekommen. Denn Sensationelles wird da nicht geplant. Statt dessen aber ein sanftes Modell für die Zukunft! Kirchenrechtlich gesehen, wird nur zur offenen Kommunion eingeladen in einer (mit Blick auf can. 908) korrekt zelebrierten Meßfeier. Denn auf die Dauer wird nicht kirchlicher Pomp weiterführen, sondern die Öffnung der Gemeinden und der Kirchen füreinander. Anscheinend haben die „Offiziellen“ den Reformgruppen ein solches behutsames Konzept gar nicht zugetraut, jedenfalls sind sie auf deren Argumente bisher weder schriftlich noch mündlich eingegangen. Statt dessen wurden rein organisatorische Hindernisse vorgetäuscht.

Es kann auch ganz anders kommen: Wenn die „Offiziellen“ merken, wie wenig sie gegen unsere Pläne in der Hand haben, könnte es ihnen unter Umständen einfallen, den Eindruck zu erwecken, wir hätten nur wegen ihrer Wachsamkeit klein beigegeben. Ein Blick in „imprimatur“, die SOG-Papiere und die ikvu.de-Seiten beweist, daß wir von vornherein ein theologisch wohl durchdachtes, alles andere als provozierendes Konzept vertreten haben

Sollten die offiziellen kirchlichen Stellen allerdings bei ihrer gegenwärtigen Position bleiben, würden sie sich nur ein Armutszeugnis ausstellen. Denn wo wollen sie den Stein des Anstoßes herholen? Eine Interzelebration wie noch beim Katholikentag 2000 in Hamburg („verboten“ nach can. 908) wird es nicht geben.

Oder muß am Ende der can. 844, § 1 herhalten? Demnach dürfen Sakramente nur Katholiken gewährt werden. Aber diese Bestimmung ist unter heutigen Umständen so realitätsfremd, daß man aus dem Verstoß niemandem einen Strick drehen kann. Sonst müßten alle deutschen Pfarrer in die Wüste geschickt  werden. Wie sollen sie in den heutigen weithin anonymen Großgemeinden aussortieren können? Dürften sie denn überhaupt an der Kommunionbank Nichtkatholiken überschlagen, solange diese offenbar in bester Absicht kommen? Dieser Kanon setzt eindeutig ein konfessionelles Ghetto voraus, in der eine theologisch motivierte eucharistische Gastfreundschaft in den nächsten 200 Jahre nicht einmal denkbar ist.

Eine pauschale Verurteilung des Vorhabens der Reformgruppen mit der Berliner Gemeinde würde jedenfalls besonders armselig wirken, weil die Gruppen ihrerseits nicht unerheblich, durch den Verzicht auf eine Interzelebration, der Kritik an ihren Gottesdiensten bei früheren Kirchentagen Rechnung tragen, wenngleich aus theologischen und nicht aus kirchenpolitischen Gründen. Ist nur eine Seite lernfähig? Man sollte sich in dieser Sache der klugen Bemerkung des Gamaliël (Apg 5,38f) erinnern: „Wenn dieses Vorhaben oder dieses Werk von Menschen stammt, wird es zerstört werden; stammt es aber von Gott, so könnt ihr sie nicht vernichten; sonst werdet ihr noch als Kämpfer gegen Gott dastehen.“

02/7    Carl-Peter Klusmann